Verfahren wegen des Vorwurfs einer Mitgliedschaft beim „Islamischen Staat“
Das Weltrechtsprinzips aus §§ 6 StGB, 1 VStGB ermöglicht die Strafverfolgung der im Völkerstrafgesetzbuch pönalisierten Tathandlungen wie Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen durch die deutsche Strafjustiz. In der gesamten Europäischen Union nahm seit dem syrischen Bürgerkrieg und den Fluchtbewegungen aus dem arabischen Raum die Anzahl derartiger Verfahren stetig zu. Derzeit vertrete ich einen syrischen Staatsangehörigen vor dem Staatsschutzsenat des OLG Koblenz. Die Anklage wirft ihm vor, Mitglied des Islamischen Staates und an Kriegsverbrechen während des syrischen Bürgerkrieges im Jahre 2015 beteiligt gewesen zu sein.
Die Ermittlungen gingen initial von privaten NGO aus. Diese allein zwecks Aufarbeitung der Verbrechen im syrischen Bürgerkrieg gegründeten Organisationen, wie die Comission For International Justice und Accountability, mögen zwar von Staaten und supranationalen Organisationen anerkannt und mandatiert sein, können aber nicht die Ermittlungsstandards staatlicher Behörden gewährleisten. Dennoch leiteten die Staaten Belgien, Deutschland und Schweden Strafverfahren ein.
Der Angeklagte war Einwohner einer Phosphatminenstadt. Dort war er selbstständiger Automechaniker und Handwerker. Religiös hingegen war er nie. Als der IS im Mai 2015 die Stadt kampflos besetzte, verließ er wenige Tage später mit seiner Familie die Stadt.
Wir sind der Überzeugung, dass die Anklage in allen Punkten nicht zutrifft:
Es ist eine im Hinblick auf die konkrete Situation lebensferne Annahme, dass der Angeklagte, nachdem der IS einmarschierte, einfach en passant Mitglied des IS werden konnte. Alle Informationen bestätigen, dass die Mitgliedschaft im IS an ein strenges Aufnahmeverfahren geknüpft war. Denklogisch kann der Angeklagte an den ihm vorgeworfenen Hinrichtungen zweier FSA-Kämpfer nicht beteiligt gewesen sein, da er zum Tatzeitpunkt nicht mehr am Tatort war.
Wende im schwedischen Parallelverfahren
Die privaten Ermittlungen führten dazu, dass in den EU-Staaten Belgien, Deutschland und Schweden Strafverfahren eingeleitet wurden.
Die Richtigkeit der von der Verteidigung vertretenen Auffassung fand in der zweiten Aprilwoche des Jahres 2024 Bestätigung:
Denn im schwedischen Parallelverfahren wurde die Haft für den dortigen Angeklagten ausgesetzt. Die Haftaussetzung ist im schwedischen Strafprozess ein nahezu sicheres Anzeichen für einen bevorstehenden Freispruch. Offenbar gelang es der dortigen Verteidigung in kürzester Zeit das Narrativ der Anklage zu zerstören.
Im Hinblick auf das hiesige Verfahren bedeutet dies, dass der von der Generalbundesanwaltschaft angenommene historische Lebenssachverhalt nicht zutreffen kann.
Denn die drei in Deutschland, Schweden und Belgien eingeleiteten Verfahren stützen sich auf dieselben teils anonymisierten Zeugen. Es entspricht dem von uns bereits gerügten rechtsstaatlichen Manko des Verfahrens, dass durch die privaten Ermittler die vollständige Aktenkenntnis nicht gesichert ist und die Ermittlungsbehörden offenbar unkritisch deren von Belastungseifer geprägten Vernehmungen übernahmen. Das deutsche Tatgericht trifft deswegen die Pflicht, Urteil und Aktenlage des schwedischen Verfahrens umgehend beizuziehen.