Ein Video aus der Urlaubsinsel Sylt hat nicht nur riesige Verbreitung in sozialen Netzwerken erfahren, sondern es bis in die Tagesschau geschafft. Zu sehen sind dabei feiernde Personen in einem Club, die zu dem Lied „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ singen. Eine Person im Hintergrund soll zudem, so der Vorwurf, den sogenannten Hitlergruß zeigen. Es ist nicht das erste Mal, dass ein solches Video für Aufsehen sorgt. Erst im November vergangenen Jahres erreichte ein ähnliches Video aus Mecklenburg-Vorpommern bundesweite Verbreitung. Da sich die Abänderung des 90er-Jahre Hits in sozialen Netzwerken mittlerweile großer Beliebtheit erfreut und zahlreiche Nachahmer findet, wird es vermutlich auch nicht das letzte Video bleiben.
Erhebliche Konsequenzen
Ein harmloser Partyspaß ist das Ganze jedoch zumindest nicht für alle Menschen. Für die in solchen Videos zu sehenden Personen können viel mehr regelmäßig erhebliche Konsequenzen drohen. In Sylt ermittelt, wie schon zuvor in Mecklenburg-Vorpommern, die zuständige Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Volksverhetzung und laut Presse haben schon die ersten identifizierten Personen ihre Arbeitsverhältnisse deswegen verloren. Sowohl in den Massen- als auch in juristischen Medien wird dabei die Strafbarkeit des Ganzen diskutiert, die keineswegs so klar ist, wie mancher Kollege dies darstellt.
Ist „Deutschland den Deutschen“ überhaupt strafbar?
Denn zur Strafbarkeit der Parole „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ gibt es unterschiedliche Rechtssprechung. Während das Bundesverfassungsgericht (AZ. 1 BvR 369/09, 1 BvR 370/04, 1 BvR 371/04) die Parole „Ausländer raus“ zumindest nicht grundsätzlich als strafbar erachtet, sehen andere Gerichte dies anders. Das Landgericht Magdeburg hat im August 2017 einen Angeklagten wegen dem Anstimmen der Parole „Ausländer raus“ auf einer Demonstration wegen Volksverhetzung verurteilt (AZ. 26 Ns 3/17, 26 Ns 456 Js 382/15 (3/17). Auch das Landgericht Dortmund wertete 2019 das Skandieren der Parole (neben anderen) auf einer Demonstration als strafbar. Die Richter stellten dabei insbesondere auf den einschüchternden Charakter ab, der von den Demonstranten ausgegangen sei.
Auf solche Begleitumstände stellte auch das Amtsgericht Regensburg 2015 ab, als es zwei Brüder unter anderem wegen dieser Parole verurteilte. Erkennbar kommt es für eine mögliche Strafbarkeit jedoch auf den Einzelfall an. Aufgrund des hohen politischen Drucks ist jedoch vom Gebrauch des Weisungsrechts in der Weise auszugehen, dass den Staatsanwälten flächendeckend über die Ministerien und Generalstaatsanwälte vorgegeben wird in diesen Fällen keinerlei Einstellung des Verfahrens aus Opportunität zuzustimmen. Ebenso dürfte die Weisung dahin gehen, die Staatsanwaltschaften anzuweisen, im Falle von Freisprüchen immer in Berufung und Revision zu gehen. Durch diesen Druck kann die Exekutive die Justiz „auf Linie“ bringen.
Kann ein Partyhit einschüchternde Wirkung haben?
Die Begleitumstände des in sozialen Netzwerken als „Remigrationshymne“ gefeierten Liedes, das insbesondere über die Plattform TikTok zahlreiche Nachahmer findet, unterscheiden sich dabei erheblich von den bisherigen Urteilen. In diesen waren meist Teilnehmer nationalistischer Demonstrationen oder Personen mit vom Gericht als martialisch bewertetem Auftreten verurteilt worden, wobei oftmals von den Richtern aus der Gesamtschau eine einschüchternde Wirkung angenommen wurde. Auch der klare politische Hintergrund, die Verbindung mit anderen Parolen, die Größe der Versammlung sowie Vorstrafen spielten bei der Beurteilung regelmäßig eine Rolle. Dies unterscheidet die Verurteilungen damit beispielsweise von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wo es um ein Wahlplakat ging.
Von den angeführten Verurteilungen unterscheiden sich aber auch die Partyvideos erheblich. Bei dem Video der harmlos in Sylt feiernden, alles andere als einschüchternd aussehenden Personen dürfte sich kaum jemand ernsthaft bedroht fühlen. Erkennbar liegt ein humoristischer Hintergrund vor, der gegen eine Strafbarkeit ins Feld geführt werden kann. Betroffene der strafrechtlichen Ermittlungen sollten sich daher insbesondere aufgrund des öffentlichen Drucks auf die Ermittlungsbehörden unverzüglich einen erfahrenen Strafverteidiger zur Hand nehmen. Bis zur Festlegung einer klaren, höchstrichterlichen Rechtssprechung ist jedoch aus einer strafrechtlichen Sicht von einem Singen des Liedes und einer Verbreitung solcher Aufnahmen abzuraten.
Arbeitsrecht, Privatsphäre und mehr
Schwerwiegender als die strafrechtlichen Ermittlungen trifft die Betroffenen jedoch oft das „Doxing“, also die vorwiegend im Internet vorgenommene Verbreitung ihrer Identität, sowie sofortige Kündigungen und die langfristigen Folgeschäden durch das Anzeigen der „Doxing“ Ergebnisse in Suchmaschinen.. Auch gegen solche Maßnahmen lohnt in zahlreichen Fällen die anwaltliche Vertretung, da beispielsweise eine außerordentliche Kündigung wegen eines solchen Videos in den meisten Fällen rechtswidrig ist. Ein erfahrener Anwalt kann zudem helfen, das „Recht auf Vergessenwerden“ im Internet, das der EuGH 2014 in einem Urteil eingeführt hat, durchzusetzen. Die Kanzlei Mandic unterstützt Betroffene gerne vollumfänglich in allen relevanten Aspekten.